Dieser Artikel ist der Anfang einer Serie von Artikeln, in denen ich einen etwas anderen Ansatz aufzeigen möchte, um aktuelle Themen zu verstehen. Dieser Ansatz ist ein sprachlich-philosophischer, der erst einmal erklärt und dann verstanden werden muss. Zum Beispiel verwende ich Wirklichkeit und Realität auf eine etwas andere Art, als wir es aktuell gewohnt sind. Der Ansatz ist trotz seiner sprachlichen Natur pragmatisch angelegt. Einmal verstanden, öffnet sich eine Tür, mit der heutige Problem der Digitalisierung leichter verstanden werden können, etwa in der Generativen Künstlichen Intelligenz, oder der Virtualisierung von allem im Narrativ des Metaverse. So hoffe ich es zumindest.
Motivation
Meine Motivation hinter diesem Text ist es, einer gewissen Frustration Luft zu machen, die im Laufe der Jahre mit der Beschäftigung mit der Digitalisierung entstanden ist. Zum Einen ist mir eigen, dass ich stets versuche den Dingen auf den Grund zu gehen. Dabei bin ich auf alle möglichen Modelle und Theorien gestoßen. Sie alle haben gemein, dass sie quasi in der Luft hängen. Zumindest fühlt sich das so für mich an. Das schlimmste Beispiel ist vielleicht der Gardner Hype Cycle. Es ist quasi das Erklärmodell für Hypes, entbehrt sich aber jeglicher wissenschaftlicher Grundlage und dient Gardner lediglich zum Marketing. Gehe ich immer noch eine Stufe tiefer und versuche dem Ursprung einer Idee nachzusteigen, stoße ich auf wenig Substanz. Es handelt sich einfach um eine Erfindung, eine Idee, wie etwas sein könnte. Das ist legitim und funktioniert auch oft genug für bestimme Zwecke.
Auch mein Ansatz ist zunächst die pragmatische Idee ein Problem zu lösen. Allerdings basiert diese auf einer sprachliche Grundidee, bei der kaum tiefer gegangen werden kann. Diese Grundidee an sich ist auch nicht neu, sondern lässt sich leicht bei Aristoteles oder Heidegger nachlesen. Allerdings wird das hier keine philosophische Hausarbeit, sondern der Versuch auf dem Grunde dieser Denker einen anderen pragmatischen Ansatz für heutige Überlegungen zu finden, mit denen nicht einfach nur neue Narrative gesät werden, die der Gier dienen, sondern auf Logik basierende Gedanken zu entwickeln, die auf wissenschaftlich nachvollziehbare Schlüsse basieren.
Einen Text stellt man ja nicht in die Öffentlichkeit, wenn man nicht hofft, damit etwas bewegen zu können. Im vollen Bewusstsein, wie unwahrscheinlich so etwas ist. Gleichzeitig schreibe ich diesen Text tatsächlich vor allem für mich. Dies ist die dritte Iteration des Textes und auch die lesbarste und klarste. Das Schreiben und Veröffentlichen dieses Textes hilft mir also auch, die Gedanken zu strukturieren.
Die Herangehensweise
Ich bin ein Pragmat. Das bedeutet, ich versuche in meinem Denken den eher kürzeren Weg zu nehmen, um den Bezug zur Nützlichkeit nicht zu verlieren. Denn ich bin fest davon überzeugt: Alles Philosophieren (diese ganze Technologie!) ist sinnlos, wenn sie uns nicht dazu verhilft, das Leben der Menschheit besser zu machen. Ich werde nicht mit Absicht kompliziert denken, auch wenn es möglich ist, und es andere zu dem Thema schon so gemacht haben. Damit befinde ich mich außerhalb der Philosophiegeschichte, die der Nützlichkeit aufgrund der Wahrheit erst mal egal ist (auch wenn sie bei der Motivation der Wissenschaftler:innen durchaus eine Rolle spielen kann). Wie gesagt: Damit werde ich Lesende hier nicht langweilen. Ich schreibe nicht primär für Philosophie-interessierte oder Philosophen. Das will ich gar nicht. Ich versuche für Jederman zu schreiben.
Gleichzeitig werden meine Überlegungen immer logisch überprüfbar sein. Die Abkürzung im Denken ist nicht das Ignorieren notwendiger Überlegungen, sondern das Weglassen von Gedanken, die ich nicht für relevant halte, um das Problem zu lösen. Ich werde nicht Philosophiegeschichte zitieren und diese voraussetzen, sondern in eigenen Worten meine Sicht erklären. Wenn die nicht reichen, würde es auch nichts bringen, Kant zu zitieren.
Was ist echt?
Den Anfang meiner am Ende hoffentlich pragmatischen Herangehensweise, ist die Frage, was echt ist. Ich könnte auch fragen: Was ist etwas, und warum ist es nicht etwas anderes? Überlegungen dieser fundamentalen Art brauchen immer einen Ausgangspunkt, an dem man nicht mehr tiefer gehen kann. Und der beginnt für manche Philosophen dort, wo das Sein beginnt.
Wir sind im Alltag eher davon entfernt, solche Fragen zu stellen. Aus verständlichen Gründen: Ich kann nicht die ganze Zeit fragen, ob etwas eigentlich echt ist. Ich brauche, um irgendwie im Alltag klar zu kommen, ein paar Grundannahmen, dass die Welt, in der ich da lebe, auch das ist, was sie zu sein scheint. Der Film Die Matrix schaffte es, diese Frage ein wenig mehr in den Alltag zu bringen. In Matrix stellt sich zum Beispiel der Charakter Cypher die Frage, ob das Steak, dass er in der Matrix isst, echt ist. Ihm war es am Ende egal. Eine Frage, die sich aus dem Film ergibt, nämlich, wie wir herausfinden können, ob wir eigentlich in einer Matrix leben, brachte die Frage von dem was etwas ist, in den Alltag.
Die Antwort der Frage, was echt ist, liegt für mich sprichwörtlich in den Worten selbst: Echt ist was echt ist. Diese Wendung nennt sich Tautologie, also eine sich selbst bestätigende Aussage. Das klingt erst etwas absurd. Aber die Erklärung verdeutlicht, warum das ein verdammt wichtiger Ansatz ist: Etwas kann nur etwas sein, weil es genau das ist. Es ist nicht möglich, und nicht denkbar, dass etwas gar nicht es selbst ist, sondern etwas anderes. Denn dann wäre es nicht es selbst. Und darum ist es wichtig zu wissen: Etwas, dass es selbst ist, ist es selbst. Und nicht etwas anderes.
Realität und Wirklichkeit
Trotz dieser tautologischen Absurdität und Banalität, ist es doch nicht ganz so einfach. Denn in der Tat können wir uns ganz hervorragend im Alltag darüber streiten, was etwas ist. Ist eine Fotografie eine Fotografie, auch dann, wenn sie nicht mit einer Fotokamera angefertigt wurde, sondern von einer KI? Was sind eigentlich Fake-News? Welche strafrechtliche Relevanz hat eine Tat, die nicht in der echten Welt, sondern im Metaverse verübt wurde? Wie „echt“ ist eine Vergewaltigung in VR, wenn sie vermeintlich „nur“ in einer digitalen Welt stattgefunden hat?
Die Probleme zwischen uns entstehen meist dadurch, dass wir keine Klarheit darüber haben, was etwas ist. Sich darüber hinaus dann auf ein Ziel zu verständigen, muss zum Scheitern verurteilt sein, weil bereits die Grundannahmen unterschiedlich sind.
Herauszufinden, was etwas ist, ist oft dann eine Herausforderung, wenn dieses Etwas versucht, etwas zu sein, was es gar nicht ist. Das begegnet uns zum Beispiel in der Digitalisierung. Während ein Baum nicht vorgibt ein Himmel zu sein, sind digitale Programme manchmal genau dafür gebaut: Sie sollen so sein als ob sie etwas anderes sind. Wenn ich eine Virtual Reality Brille aufziehe, fühle ich mich, als würde ich mich wo anders befinden, in einer anderen Welt zum Beispiel. Dieses Phänomen ist heute zwar allgegenwärtig, aber kein neues. Was ist das mit Ölfarbe gemalte Bild einer Pfeife? René Magritte würde sagen: Es ist keine Pfeife. Womit er eigentlich sagen möchte: Es gibt einen Unterschied zwischen dem wie uns etwas erscheint und dem was es ist. Ein gutes Ölgemälde kann es uns so vorkommen lassen, als ob die Pfeife echt wäre. Das Bild einer Landschaft kann es uns erscheinen lassen, so als ob wir quasi da sind. Cypher in der Matrix weiß, dass sein Steak nicht echt ist, auch wenn es unfassbar real wirkt.
Wir haben hier eine Situation, die Philosophen versucht haben mit dem Verhältnis von Realität und Wahrnehmung, Objektivität und Subjektivität zu lösen. Mit ganz unterschiedlichen Ansätzen. Wäre das hier eine richtig echte Hausarbeit, müsste davon jetzt eine Zusammenfassung erfolgen. Das erspare ich den Lesenden allerdings an dieser Stelle und empfehle erstens die Wikipediaartikel dieser Begriffe einmal anzulesen, um zu verstehen: Die Geschichte ist nicht unkompliziert und was der heutige Stand ist. Und zweitens: Hier ist mein Versuch über die Modifikation des Begriffspaars Realität und Wirklichkeit die Frage zu beantworten, was etwas ist.
Grundsätzlich gilt: Wenn etwas so wirkt, als ob es etwas wäre, dann ist das auch so. Ein Baum, der wie ein Baum wirkt, ist erst mal ein Baum. Die Wirksamkeit dessen, was dort ist, ist die eines Baumes. Wäre diese eine andere, wirkte es als etwas anderes. Was da so wie ein Baum wirkt, nenne ich die Wirklichkeit. Die Wirklichkeit hat eine große Nähe zum Begriff Subjektivität. Mit einem Blick auf die Geschichte des Begriffs, versteht man aber, warum ich mir diesen Ballast und die Probleme, die damit einher gehen, nicht aufbürden will. Sie würden auch nicht helfen, das Problem zu lösen. Stattdessen verwende ich stets den freshen Begriff Wirklichkeit und wie ich ihn hier erklären. Wirksamkeit, Wirklichkeit und Wirkung.
Als Gegenbegriff verwende ich das Wort Realität. Wirklichkeit und Realität werden oft als Synonyme verwendet. Das ist mir klar. Und tatsächlich gehören sie auch für mich zusammen. Ich will ihnen aber zwei unterschiedliche Verwendungsarten geben. Während die Wirklichkeit jeweils für jeden Menschen eine andere sein kann, ist die Realität die Welt, die von Menschen messbar ist. Die Realität ist also eine messbare Welt. Nehme ich einen Baum in meiner Wirklichkeit wahr, und nehme dann eine Messung vor, die bestätigt, dass es sich um einen Baum handelt, dann gibt es eine Entsprechung von Wirklichkeit und Realität.
Eigentlich ist der Prozess deutlich komplizierter: Gemessen wird nicht der Baum, sondern ganz bestimmte Atome, Temperatur, Farbe, Ort, zeitliche Entwicklung, usw. Der wissenschaftliche Schluss dessen, was da ist, leitet sich von diesen Details ab. Unterschiedliche Wissenschaftler könnten unabhängig voneinander messen und wiederholbar einen Baum identifizieren. Sie würden zugleich auch nichts messen, was dem widersprechen würde. Der Einfachheit halber, kürze ich diesen Prozess zukünftig mit dem Satz ab: Wenn wir eine Messung vornehmen, messen wir einen Baum.
Magrits Pfeife mag so gut gezeichnet sein, dass wir denken: Da ist eine Pfeife! Und die Aussage würde beschreiben: Hier ist jemand, in dessen Wirklichkeit eine Pfeife ist. Würden wir nun aber eine Messung vornehmen, würden wir keine Pfeife messen, sondern ein Gemälde, dass eine Pfeife darstellt. Das können wir mit wissenschaftlicher Sicherheit sagen. Gemessen wird ein Bilderrahmen aus Holz, eine Leinwand, Ölfarbe und die Temperatur und Gewicht des Gemäldes. Im Vergleich dazu müssten wir bei der Messung einer Pfeife Holz, Lack und Tabackreste messen. Sollte sie gerade verwendet werden sogar Rauch und eine deutlich erhöhte Temperatur, die eher untypisch für ein Gemälde wären. Die Wirklichkeit der Person, die sagte: Da ist eine Pfeife! unterscheidet sich also von der Realität, die sagt: Da ist ein Bild.
Die Wahrnehmung der Pfeife ist echt. Das Bild einer Pfeife ist in seiner Wirksamkeit eine Pfeife. Echt ist auch die Messung eines Gemäldes. Die Magie des Begriffspaars entsteht, bringen wir beides in einer sozialen Handlung zusammen: Angenommen ich informiere nun die Person, die die Wahrnehmung einer Pfeife hatte, darüber, dass wir keine Pfeiffe messen können, aber ein Gemälde, dann wird sie zunächst irritiert sein. Die Messdaten könnten die Person davon überzeugen, dass es sich tatsächlich nur um ein Gemälde handelt. Vielleicht sagen wir dann: Wie erstaunlich dieses Gemälde ist, dass es so wirken kann, als handele es sich um eine echte Pfeife!
Angenommen die Person wäre auf der Suche nach einer Pfeife gewesen, um eine Pfeife zu kaufen und hätte dann das Gemälde entdeckt. Sie wäre ziemlich enttäuscht gewesen, wenn sie versucht hätte Tabak in die Pfeife zu stopfen und sie anzuzünden. Dieses Beispiel wirkt absurd. Denn natürlich würde jede Person relativ schnell bemerken, dass es sich hierbei nicht um eine Pfeife, sondern um ein Bild handelt. Dennoch ist das Beispiel gar nicht mal so abstrus, schauen wir uns aktuelle Entwicklungen an. In der Tat versuchen Unternehmen aktuell virtuelle Urlaube im Metaverse zu verkaufen. Das Spiel mit dem Begriffen ist seit Erfindung des Computers, der Infrastruktur Internet und digitaler Produkte ein durchgängiges Motiv. Gerade die Virtualisierung von allem, von den Menschen bekannten Dingen, also die Übertragung einer Metapher ins Digitale, haben es erst ermöglicht, dass Computer so gut adaptiert werden konnten. Icons auf einem Desktop stehen sinnbildlich für Funktionen oder Gruppen von Funktionen. Ein Ordner ist nichts, in was wir Akten und Dokumente aus echtem Papier legen können. Aber als Metapher verstehen wir: Dort können wir Dateien ablegen, so als ob es sich um einen Ordner handeln würde. Ähnlich verhält es sich mit einem Papierkorb. Er funktioniert als Papierkorb aber zeigt sich bei einer Messung als Programm, das so wirkt als ob es ein Papierkorb wäre. Diese Virtualisierung und die Nutzung von Metaphern, die so überzeugend wirken, war also auch hilfreich, um Computer intuitiver bedienen zu können.
Was Realität und Wirklichkeit für uns in der Diskussion bedeutet
Es ist möglich, dass wir uns nicht darüber einig sind, was etwas ist. Zum Einen, weil wir unterschiedliche Wirklichkeiten haben. Oder auch, weil wir keine Messdaten haben, oder die sich noch nicht gleichmäßig genug verteilen konnten. Oder auch, weil wir Messdaten ignorieren, weil sie uns zuwider sind, sie sich nicht gut anfühlen, oder die Welt zu sehr verändern. In der Diskussion darüber, was gut für uns ist, und was wir in Zukunft tun sollten, ist die Unterscheidung zwischen dem, was Wirklichkeit und was Realität ist, wichtig.
Denn wenn wir verstehen, was etwas wirklich und was real ist, kann sich die Frage nach dem, was wir wollen, verändern. Dazu mehr in den kommenden Artikeln.
Wenn wir nun herausfinden wollen, was etwas ist, ist es mir wichtig den Respekt vor der Wirklichkeit zu bewahren. Denn wie ich oben hoffentlich gezeigt habe, sind die in der Wirklichkeit erlebten Dinge echt. Wie die Wirksamkeit von Kunst zeigt, kann ein sehr aufgeklärter Mensch, der über alle Messdaten verfügt, dennoch eine von der Realität zu unterscheidenden Wahrnehmung der Wirklichkeit haben – und es auch behalten! In der Tat ist es sogar so, dass wir immer erst Wirklichkeit wahrnehmen, diese mit den Messdaten abgleichen müssen, um dann zu verstehen, wie die eigene Wirklichkeit wirkte.
Der Respekt ist auch deswegen wichtig, weil wir als Menschheit sehr lange durch Weltbilder und Religionen geprägt wurden und für den Großteil der Menschheit trifft dies noch immer zu. Dazu würde es sich lohnen einen weiteren Text zu schreiben, um zu verstehen, wie wir uns als Menschheit entwickelt haben.
Wenn wir uns also damit beschöftigen, was etwas ist, und wie wir das wahrnehmen, dann kommen wir hoffentlicht in der Reflektion unserer Wahrnehmung im Gespräch mit anderen Menschen zu einem friedlichen Miteinander. Sollte mein Ansatz nicht dazu beitragen, wäre sein Sinn verfehlt.
Das war der erste Artikel einer Serie, die auf Basis dieser Überlegungen, versucht aktuelle Begebenheiten einzuordnen. Mir ist klar, dass schon dieser lange Text bei weitem nicht detailliert genug ist, um wirklich alle denkbaren Fragen zu behandeln. Fragen dazu und der Hinweis auf Denkfehler begrüße ich aber ganz ausdrücklich! Dazu möchte ich einmal die Kommentarfunktion anbieten. Und sollte es ganz spezifisch um virtuelle Welten und KI gehen, möchte ich auf den Discord-Server von Spatial Realities einladen.
Die nächsten Artikel werden hier verlinkt werden.
Aktueller Stand: 26. Oktober 2024